Press release Presseberichte
Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung von Marcella Lassen, 09. Mai 2005
Von Dr. Andreas Gabelmann
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Marcella, liebe Kunstfreunde – eine Fleischfrikadelle zwischen zwei Brötchenhälften, bestreut mit Sesam, garniert mit Kopfsalat, Tomaten oder Käse, verfeinert mit Ketchup, Mayonnaise oder Senf, und das Ergebnis zu einem mehrstöckigen Gebilde übereinandergeschichtet – die allermeisten von Ihnen dürften dieses geschmacklich und kalorientechnisch zumindest zweifelhafte Fast Food Produkt kennen und dieses auch schon genossen haben. Eine optische und kulinarische Erfahrung, die uns mit dem Großteil der Weltbevölkerung verbindet, denn wie kein zweites Erzeugnis der internationalen Konsumgüterindustrie steht der Hamburger heute als Symbol für den weltumspannenden Massenkonsum und darf er als die globale Ikone moderner Alltagskultur gelten. Seit dem Beginn seiner rigorosen Vermarktung in den frühen 50er Jahren durch den amerikanischen Konzern MacDonalds hat der Hamburger unaufhaltsam seinen Siegeszug durch sämtliche Kontinente angetreten, ist bis in die entlegendsten Winkel des Erdballes vorgedrungen und behauptet seit Jahrzehnten unangefochten den Status der meistverkauften Imbiss-Ware überhaupt. Einer der banalsten und trivialsten Gegenstände avancierte damit, ungeachtet wechselnder Moden und unabhängig von jeglichen Trends, zu einem Sinnbild unseres konsum- und kapitalorientierten Zeitgeschehens im ausgehenden 20. Jahrhundert. Über alle kulturellen und sozialen Grenzen hinweg ist der Hamburger praktisch überall und jederzeit als preisgünstige Lösung zur schnellen Befriedigung des menschlichen Urbedürfnisses der Nahrungsaufnahme verfügbar. Als logische Konsequenz fand jenes faszinierende Phänomen der Massenkultur schließlich auch Eingang in die Welt der Kunst und regte seit den 60er Jahren im Zuge der Pop-Art-Bewegung vor allem amerikanische Künstler zur schöpferischen Auseinandersetzung an.
Die intensive gedankliche und ästhetische Beschäftigung mit dem Bildthema des Hamburgers steht im Zentrum des Schaffens von Marcella Lassen. Die 1952 in Los Angeles geborene Malerin und Graphikerin lebt seit vielen Jahren in Europa und ist seit einiger Zeit am Bodensee ansässig. Nach dem Studium der Kunstgeschichte und der Bildenden Kunst in Kalifornien führte sie ihre Ausbildung zunächst nach Wien, wo sie an der Akademie den Bereich der angewandten Kunst als Schwerpunkt wählte. Nach Abschluß einer zusätzlichen Ausbildung als Porzellan- und Keramik-Restauratorin in München besuchte sie die Kunstakademie in Brüssel, wo sie als Meisterschülerin der Klasse für Monumentalmalerei den Umgang mit Form und Farbe im Verhältnis zu großen Flächen und das Arbeiten mit verschiedenen Materialien und Techniken für sich entdeckte. Die Suche nach einer Motivwelt abseits der üblichen Bildgattungen Landschaft, Figur oder Porträt und das ausgeprägte Interesse an abstrakten Stilrichtungen, verbunden mit der Freude am Experimentieren mit unkonventionellen technischen Möglichkeiten und schließlich der Wille nach einer intellektuellen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit führte sie in den frühen 90er Jahre zum Bildgegenstand des Hamburgers. Durch mehrere Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in Museen, Galerien und Restaurants in Belgien, Frankreich, Spanien, Deutschland und der Schweiz konnte Marcella Lassen in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Erfolge feiern.
Mit kompromißloser Ausschließlichkeit widmet sich die Künstlerin seither jenem einfachen Brötchen mit Füllung, das ihr eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration geworden ist. Das "Immer Gleiche immer anders" könnte als Motto über ihrem umfangreichen Werkprozess stehen. Ihre Vorliebe für das uramerikanische Massenprodukt ist eng verbunden mit der persönlichen Herkunftsgeschichte und Lebenserfahrung. Nach eigener Aussage bedeutete die Motivfindung für Lassen zugleich eine "Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln". Ausgehend von der Erkenntnis, daß einer der belanglosesten Gegenstände inzwischen zum Markenzeichen für eine globalisierte Welt- und Wirtschaftsordnung geworden ist, wurde der Hamburger für die Künstlerin vor allem ein vielschichtiges Symbol, das mit unterschiedlichsten Assoziationen, Stimmungen und Interpretationen befrachtet ist und das gerade deshalb ideal geeignet scheint, um über Fragen kommerzieller Massenkultur zu reflektieren und diese sinnbildhaft darzustellen. Befragt man Marcella Lassen nach ihren Intentionen so betont sie neben den gestalterischen und technischen Herausforderungen stets ausdrücklich den ironisch-kritischen Ansatz und den spielerisch-vergnüglichen Aspekt ihrer Arbeit.
Die aktuelle Ausstellung präsentiert knapp 40 Arbeiten aus sämtlichen Schaffensbereichen, darunter Gouachen, Öl- und Pastellkreidebilder, Relief-Kompositionen, Collagen, Assemblagen, Enkaustiken und Plastiken. Die Werkschau spannt damit den Bogen zwischen Malerei, Zeichnung, Skulptur, Objektkunst und Installation. Lassens enormes Ausdruckspotential zeigt sich insbesondere in der virtuosen Umsetzung des Themas in unterschiedlichste Materialienkombinationen, Stofflichkeiten und technische Verfahren.
Das Verhältnis zwischen Gegenstand und Abstraktion, eine Problematik, die sich wie ein roter Faden durch die Kunst des 20. Jahrhunderts zog, prägt ganz wesentlich die sensible Bildsprache von Marcella Lassen. Schon bei der ersten Betrachtung ihrer Arbeiten fällt auf, dass sie den Umgebungsraum der Hamburger strikt ausblendet und sich einzig und allein auf das mittig platzierte Sujet konzentriert. Durch das radikale Herauslösen des Objektes aus seinem ursprünglichen funktionalen und inhaltlichen Kontext wird der Hamburger zur allgemeingültigen, zeitlosen Metapher stilisiert und gewinnt die plakative Bedeutung einer (Zitat) "scheinbar heroischen Verherrlichung des universellen Verbrauchertums", wie es der amerikanische Kunsthistoriker James Scarborough so treffend formulierte.
Als künstlerisches Prinzip bestimmt das Arbeiten mit dem Gesetz der Serie das Werk von Marcella Lassen und kennzeichnet Ihre konsequente Haltung gegenüber dem abzubildenden Gegenstand. Befreit von den Verlockungen durch andere Motivwelten oder Themenbereiche kann sie sich voll und ganz der Faszination des Immer Gleichen hingeben. Ihre künstlerische Strategie greift dabei die Mechanismen der industriellen Serienproduktion des Hamburgers auf. Dazu gehört auch das Konzept des Trademark: indem sie ihre Bildprodukte als eingetragenes Warenzeichen schützt, greift sie die Spielregeln des Wirtschaftsmarktes auf, überträgt diese subversiv auf die Kunst und profitiert damit vom System der Kommerzialisierung. In ständig neuen Bildlösungen vermag sie dem vertrauten Motiv immer wieder Überraschendes und auch Fremdartiges zu entlocken. Unter ihren Händen durchläuft der Hamburger erstaunliche Metamorphosen. Ihr Einfallsreichtum scheint dabei unerschöpflich. Die Künstlerin spielt die Formen und Inhalte der globalen Ikone stets mit eindrucksvoller Souveränität durch und serviert uns ihren Lieblingsgegenstand in vielfältigster Weise. Lassens Verhältnis zu ihrem Hauptmotiv darf als zwiespältig gelten und changiert zwischen Kritik und Humor, zwischen Anklage und Witz, zwischen Distanziertheit und Ironie. Immer aber formuliert sie ihr Objekt der Begierde mit hintergründiger Leidenschaft und einem schmunzelnden Augenzwinkern.
Mit den Arbeiten aus dem Werkkomplex der "Global Burgers" von 1994 sind zwei frühe Beispiele für die erste Annäherung der Künstlerin an ihr Hauptthema in der Ausstellung vertreten. In diesen wuchtigen Monumentalkompositionen haben Abfall und Zivilisationsmüll, Überreste von Werbung und Medien, die essbare Füllung des Hamburgers verdrängt und scheinen die Brötchenhälften sprengen zu wollen. Mit deutlich sarkastischem Unterton veranschaulicht Lassen die negativen Begleiterscheinungen der heutigen Massengesellschaft und hinterfragt Sinn und Zukunft des weltweiten, auf rasche Triebbefriedigung und flüchtige Information ausgerichteten Verbrauchertums. Durch gegossenes Papier und den Einsatz der Wachsmaltechnik wird das Sesambrötchen optisch imitiert und sinnlich erfahrbar gemacht. Mit solcherlei Arbeiten steht Lassens Hamburger Art in der kunstgeschichtlichen Tradition der Pop Art. Gemäß deren Stilmerkmale sind nach dem gestalterischen Konzept der Collage reale Fundstücke der alltäglichen Konsum- und Unterhaltungskultur in die Werke integriert, mit dem Ziel, Schock und Irritation auszulösen und eine zeitkritische Reflexion der Wirklichkeit anzuregen. Das Hinterfangen der Burgerbrötchen durch einen Goldgrund schafft bewusste Analogien zur traditionellen Ikonenmalerei der griechisch-orthodoxen Kunst und erhebt die Darstellungen in den Rang religiöser Bildwerke. Mit bissigem Spott wird der Hamburger selbst zur anbetungswürdigen Werbeikone überhöht. Im Duett der "Global Burgers" wandelt sich der Lifestyle-Gegenstand zu einem bedrohlichen, zu einem monströsen Gebilde und erhält die Aura einer unheilvollen Vision.
Transportieren diese Werke eine moralische Aussage und dienen vorrangig dem Vermitteln einer mahnenden Botschaft, so spricht aus dem neueren Werkzyklus der kleinformatigen Gouachen ein lockerer, lebhafter Studiencharakter, der hauptsächlich auf das kraftvolle Erproben von innovativen Ausdrucksmöglichkeiten abzielt. Mit dynamischem Pinselschwung und expressiver Geste tritt Marcella Lassen in einen unaufhörlichen Dialog mit dem Hamburger und porträtiert diesen in immer neuen farblichen Fassungen, formalen Abwandlungen und inhaltlichen Varianten. Graphisch fein strukturiert oder malerisch grob vereinfacht, flächig abstrahiert oder plastisch modelliert bestechen einige Hamburger durch ihre minimalistische Strenge, andere durch ihre freie Expressivität, manche drängen sich laut und provokativ in den Vordergrund, wieder andere strahlen durch ihre Stille und Ruhe eine fast poetisch-lyrischen Stimmung aus. Als stabile Konstante bleibt allein der dreiteilige Aufbau, der dem Hamburger seine unverwechselbare, architektonisch festgefügte Form verleiht. Er ist ein standardisiertes Einheitsprodukt, das äußerlich immer gleich aussieht, seine schlichte Gestalt läßt sich an Einfachheit kaum mehr überbieten. Lassen greift diese extrem reduzierte Tektonik aus Sockel, Mittelteil und Abdeckung als typisiertes Grundgerüst auf und nimmt die beiden geometrischen Elemente Halbkreis und Rechteck als äußere Hülle, gleichsam als Vehikel, um mit immer neuen Gestaltungsideen das Wechselspiel zwischen Inhalt und Form zu untersuchen.
Zu den Höhepunkten der kleinformatigen Blätter zählen zweifellos jene Bild-Schöpfungen, in denen Lassen direkte Rückgriffe auf die europäische Kunst-geschichte unternimmt und deren Protagonisten ihre Referenz erweist. So verknüpft sie in altmeisterlich anmutenden Arbeiten wie "The Albrecht Dürer Burger" die altdeutsche Maltradition der Dürer-Epoche mit dem modernen Lifestyle-Artikel unserer Zeit. Querbezüge zur surrealistischen Bildwelt von René Magritte unternimmt sie in Werken wie "This is not a Hamburger". In die Nähe zur Konzeptkunst rücken Arbeiten wie "The Written Burger", in denen die Elemente Wort und Schrift als primäre Ausdrucksträger die Darstellungen formen.
Mit den Assemblagen in den Objektrahmen vollzieht Lassen schließlich den entscheidenden Schritt von der Fläche in die dritte Dimension und verleiht den Hamburgern einen skulpturalen Wirkungscharakter. Auf kleinster Raumbühne arrangiert und inszeniert sie vieldeutige und rätselhafte, oftmals skurrile und groteske Situationen zwischen Fundsachen und Fragmenten unterschiedlichster Herkunft und Funktion. Ausgewählte Versatzstücke der sichtbaren Realität sowie gegossenes Papier werden erfindungsreich zu intimen Stilleben montiert und öffnen uns den Blick in Bedeutungsebenen, die unter der Außenhaut der Dinge verborgen sind.
Entscheidende Hinweise zur Lesart und zum tieferen Verständnis der Arbeiten liefern die Werktitel, die nicht selten das Gezeigte wie eine amüsante Bilderzählung kommentieren. Bezeichnungen wie etwa "The Etiquette Burger" suggerieren mit einem Augenzwinkern ironische Brüche; hier ist es das Wechselspiel zwischen feiner Tischsitte und guten Umgangsformen (angezeigt durch die Silbergabel) und dem totalen Verfall der Etikette (also das hastige Verspeisen des Burgers aus der Hand an jedem beliebigen Ort).
"The DIY Burger" fordert den Betrachter mit dem Slogan "do it yourself" zum eigenhändigen Zusammenbauen seiner Mahlzeit auf. "The Hooked Burger" ironisiert die Gefahren des Süchtig-Werdens nach dem Fast-Food-Produkt. "The We Are What We Eat Burger" appelliert an das ökologische Gewissen des Betrachters. Kunsthistorische Bezüge lassen sich im Falle der Assemblagen in deren Ready-Made-Charakter beobachten, in dem Lassen beispielsweise Gestaltungsideen von Marcel Duchamp aus den 20er Jahren aufgreift. Das Einmontieren der amerikanischen Flagge erinnert unwillkürlich an Arbeiten von Jasper Johns. Mit ihren kühnen Kompositionen steht Lassen ikonographisch in der Tradition der Pop Art, vieles weckt Assoziationen zu Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Jim Dine oder Claes Oldenburg. Die Malerin selbst definiert ihr Schaffen als Weiterentwicklung der Pop Art und bezeichnet ihren Akt der Übersteigerung und Verfeinerung in Anlehnung an die gekünstelte Stilströmung der Spätrenaissance als "manieristische Pop Art".
In den hier gezeigten Bild- und Objektwelten von Marcella Lassen verwandelt sich das Burger-Brötchen in ein gegenstandsfreies Zeichen und wird als abstrakte Chiffre experimentier- und dekorfreudig zur Schau gestellt. Lassen projiziert ein gängiges Alltagsklischee in die Sphäre der Kunst und stellt damit die grundsätzliche, für die zeitgenössische Kunst unserer Tage immer noch relevante Frage nach der Identität von Ding und Abbild, von Wahrheit und Fiktion.
Wie stark sich der Hamburger als bildliches Symbol und inhaltliche Metapher in unser kollektives Bewusstsein eingegraben hat und wie reichhaltig er heute mit unterschiedlichsten Vorstellungen beladen ist, das macht die künstlerische Arbeit von Marcella Lassen auf einzigartige Weise deutlich. Ich möchte mit den Worten der Künstlerin schließen: "I`ve only scratched the surface of this subject matter" - sie hat bisher offenbar also nur an der Oberfläche ihres Themas gekratzt. Wir dürfen demnach auf Weiteres gespannt sein, es gilt noch Vieles zu entdecken.
Ich wünsche der Ausstellung guten Erfolg und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
© Andreas Gabelmann